Die Einfahrt zum Ort Ischgl ist verbaut und zubetoniert – Parkplätze für viele der 10’000 Gäste, die im Winter aus dem Dorf Woche für Woche eine Kleinstadt machen. Jetzt, in der Zwischensaison, wirkt der Ort mit rund 1500 Einwohnern wie ausgestorben – wären da nicht all die Baustellen. Auf jede Wintersaison hin muss etwas Neues her. Jetzt wird ein Wellnesstempel hochgezogen.
Die Hotels sind geschlossen, die Bahnen stehen still. In der Dorfstrasse flitzen einige Biker vorbei, vier deutsche Rentner aus dem Schwarzwald gönnen sich ein Eis. Sie haben ihren Wanderurlaub schon im Februar – vor Corona – gebucht. Gleich um die Ecke am Silvrettaplatz lässt sich erahnen, wie es hier im Winter abgeht: «Après Ski Kuhstall», «Fire & Ice», «Hexenküche». «Ich war auch schon im Winter hier. Aber das ist absolut nicht unsere Welt. Das ist Party pur», sagt einer der Rentner.
An der Hauptstrasse pflückt ein Einheimischer Vogelbeeren für Schnaps. «Das ist gesund. Gegen Grippe, gegen alles. Abwehrstoffe jede Menge». Weniger gesund war, wie sich hier im Dorf und dann von hier aus in der ganzen Welt Covid-19 tagelang ausbreiten konnte. Frühen Warnungen aus Island und Verdachtsfällen ging man nicht nach, die Behörden schritten lange nicht und dann zu wenig beherzt ein.
Die Erzählung hier im Ort aber ist eine andere, wie sie der Einheimische auf den Punkt bringt: «Wir haben das Virus ja nicht erzeugt, soviel steht fest. Und es ist eine Frechheit, was die Journalisten da verbreiten. Dass sie nicht nur die Wirtschaft kaputt machen, sondern den ganzen Ort auch noch in den Dreck ziehen».
Party-Lokal blieb offen
Praktisch jeder und jede in Ischgl hängt wirtschaftlich vom Tourismus ab. Einige Hotelbesitzer sind dabei sehr reich geworden.
Der Familie von Bernhard Zangerl gehört ein Luxushotel in Ischgl und seit letztem November auch die Après-Ski-Bar «Kitzloch». Als hier ein Barkeeper positiv auf Covid-19 getestet wurde, wurde das Team ausgetauscht, aber das Lokal blieb offen und rund 200 Leute konnten auf engstem Raum weiter Schunkeln und hochprozentiges «Rotes Flügerl» trinken. Die Infektionskette wuchs weiter.
Inzwischen hat Bernhard Zangerl rund 70 Interviews geben müssen – selbst die New York Times sei bei ihm gewesen. Er habe sich strikt an die Vorgaben gehalten, hält er fest. «Ich will keine Schuldzuweisungen machen. Es war auch für die Behörden das erste Mal. Deshalb kann man nicht erwarten, dass sie keine Fehler machen.»
Es sind die immer gleichen drei Personen, die den Medien Auskunft geben. Neben Bernhard Zangerl auch der Bürgermeister und der Tourismusdirektor. Kritiker sprechen von einer «Mauer des Schweigens», auf die man in Ischgl trifft.
Bürgermeister Werner Kurz’ Antworten sind knapp. So wird das Gespräch beinahe zum Verhör. «Ich glaube, wenn man zurückblickt, dann waren die Bundesregierung und die Tiroler Landesregierung sehr schnell dran, in kürzester Zeit die wichtigsten Massnahmen umzusetzen.»
Auf die Frage, ob es denn irgendetwas gebe, das nicht ganz optimal gelaufen sei: «Ich bin kein Experte, darum kann ich das auch nicht sagen.»
«In Ischgl geht es um ganz viel Geld für örtliche Hoteliers (...).
Man zeigt also auf die anderen Behörden. Auf genau jene, die, so vermutet Verbraucherschützer Peter Kolba, unter besonderem Druck der mächtigen Tourismusindustrie standen. «In Ischgl geht es um ganz viel Geld für örtliche Hoteliers, und da gab es Druck der Tourismusindustrie auf die Behörden, dass man eine Schliessung oder auch nur eine Irritation möglichst lange hinausschieben möge.»
Es sei jedenfalls ein Widerspruch, dass die gleiche Behörde zuvor in Innsbruck ein Hotel nach einem Covid-19-Fall bis nach der Testung der ganzen Belegschaft schloss, während später in Ischgl dann in einem gleichen Fall die Bar offen bleiben konnte.
Peter Kolba geht davon aus, dass man die sehr gute Saison ungeachtet der Gesundheitsgefahr möglichst lange habe laufen lassen wollte. «Die verdienen an einem Tag so viel, dass es sich auszahlt, um Tage zu kämpfen». Er klagt deshalb wegen Amtsmissbrauchs auf Unterlassung und fordert Schadenersatz für die Geschädigten.
Eine ehemalige Serviceangestellte eines Luxushotels in Ischgl erzählt in Wien, wie man im Dorf schon Ende Februar von Ansteckungen wusste, die Belegschaft aber nicht informierte und Tests ablehnte. Als sie sich Sorgen machte, soll es geheissen haben: «Du machst zu viel Luft (…), wir haben nur vier Monate. Wir müssen Budget machen. Also mach keinen Stress.»
Von alledem will man in Ischgl nichts wissen. Aber es ist klar, dass das klassische Après-Ski im kommenden Winter nicht Corona-konform wäre. Tourismusdirektor Andreas Steibl muss und will daher aufs «laute» Après-Ski verzichten, wie er sagt.
«Die Alternative ist ein Massnahmenpaket, das weit über den behördlichen Auflagen liegt. Um das Maximum an Sicherheit für die Gäste, die Einheimischen und die Mitarbeiter gewährleisten zu können. Aber im Vorfeld schon den Impuls zu geben: Die nehmen das ernst, die werden etwas tun, dass so etwas nie wieder passiert.»
«Man kann es aber auch positiv sehen: So eine schlimme Saison wird es so schnell nicht wieder geben, und das hoffe ich auch.
Für Kitzloch-Besitzer Bernhard Zangerl heisst das erstmal Umbau: Er erweitert die Bar um eine Terrasse mit Heizstäben für zusätzliche Tische, an denen die Leute im Freien konsumieren können. Er weiss, es wird eine grosse Herausforderung. «Das Bild hat sich geändert. Viele halten die Massnahmen für übertrieben und werden sich vielleicht nicht daran halten».
«Man kann es aber auch positiv sehen: So eine schlimme Saison wird es so schnell nicht wieder geben, und das hoffe ich auch. So kann man positiv sagen, das Schlimmste war gleich am Anfang».